... Somit bleibt dem Zeitgeist nur noch die Frage:

Wo im Gehirn das Zentrum des Bewusstseins zu suchen ist,
und wie es manipuliert werden kann:

 

Die US-Autorin Rita Carter schlägt in ihrem "Atlas Gehirn" vor, intuitiv vorzugehen: Auf die Frage "Wo genau empfinde ich dieses Ich, auf das ich zentriert bin?" würden sich die meisten Menschen oberhalb der Nasenwurzel auf die Stirn tippen. Postmoderne machen es sich einfacher, sie definieren sich einfach als Gespräche und ihr Ich als dessen Trend unter perfekter Verinnerlichung der menschgemachten c3-Welt und damit ihrer eigenen Verdammung darin...

 

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Genau dort, so Carter, befindet sich der präfrontale Kortex, jener Bereich der Frontallappen, der am engsten mit der Erzeugung von Bewusstsein assoziiert sei. Das klingt überzeugend - seltsam ist es nur, sich vorzustellen, dass Menschen noch in der Antike das Hirn gar nicht als Zentrum des Denkens sahen, also wohl auch nicht als solches "spürten", die Inder es aber mit einem roten Punkt markierten...

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Tatsächlich ist die Aktivität im präfrontalen Kortex bei "profanen" Tätigkeiten sehr reduziert - erst bei betont bewussten Handlungen oder beim Nachdenken wird dort höhere Betriebsamkeit der Neuronen registriert. Genauso ist es ja mit Regierungsgebäuden, ihre Umgebung ist bei Feierlichkeiten und Demonstrationen von Menschenmassen besetzt; doch das Bewusstsein eines Staates, inklusive der Schweiz, wird in einem Hinterzimmer ohne grosses Aufsehen ausgejasst...

 

Die Neurologen haben vor allem aus dem Studium von Patienten mit Hirnverletzungen - schon einiges Erfahrungsmaterial, das bei der Aufgabenverteilung dem Bewusstsein die Unterregionen des präfrontalen Kortex zuweist. So wirken sich Schäden in geistiger Stumpfheit aus; Defekte im orbitofrontalen Kortex stören die Fähigkeit, Handlungen zu planen; der bei Depressionen beeinträchtigte ventromediale Kortex hat offenbar mit der Fähigkeit zu tun, Zusammenhänge und sinnvolle "Ganzheit" zu erzeugen. Bei Manikem, die das Leben euphorisch als grossartiges Ganzes sehen, ist dieses Zentrum während ihrer Anfälle besonders aktiv. Nehmen Sie mal den Seitenschneider und kappen Sie in Ihrem PC ein paar Drähte und studierten dann die Auswirkung auf die Office Programme und ihre Dateien...

Ist der freier Wille mit diesen Erkenntnissen eine Illusion?

Solche gehirntopologischen Ansätze sind beeindruckend und oft schaurig. Sie sind aber bestenfalls Vorstudien auf grund kollektiver Archetypen und Zeitgeistvorstellungen zu einer reduktionistischen Erklärung des Bewusstseins mit kollektiven Aktivitäten von Neuronen. 

 

Man sei noch lange nicht soweit, das Verhalten von Ensembles von Neuronen auch nur in einer lokalisierte Hirnregion zu verstehen, warnt der führende US Neurologe Antonio R. Damasio im Scientific Ame­ri­can (12.1.99): "Wir beginnen gerade erst, die Tatsache zu erforschen, dass Wechselwirkungen zwischen vielen nicht benachbarten Hirnregionen wahrscheinlich hochkomplexe biologische Zustände erzeugen, die weitaus mehr sind als die Summe ihrer Teile." Trotzdem zieht "man" aber munter gesellschaftspolitische Schlussfolgerungen aus solchen Wissensmythen, wie aus dem über die Evolution im Hinblick auf die "freie Hand des Marktes und globalisiert sie bis zum Crash...

 

Schliesslich ergibt die lokale Erhitzung in irgend einem Computer mit Windows auch nicht gerade ein Verständnis von Bill Gates, auch wenn wir das auf unter einen Qubikmillimeter genau auflösen und mit Supercomputer modellieren... 

 

Wesentlich für eine solche "Integration" scheint die zeitliche Ordnung zu sein: Der deutsche Neurologe Ernst Pöppel, der sich selbst als "pragmatischen Monisten" sieht und von "Bewusstsein ausserhalb unseres Hirngeschehens" nichts wissen will, meint, dass der "Bewusstseinsstrom" in Wahrheit sprunghaft sei: Das Gehirn erzeuge seine eigene Uhr mit "Zeitquanten" von etwa 30 Millisekunden Dauer, die wiederum in Einheiten von drei Sekunden (etwa die Länge einer Verszeile) zusammengefasst würden. 

 

"Der subjektive Eindruck einer zeitlichen Kontinuität ist eine Illusion.", wovon natürlich die zum eigenen Leben und dessen Ursprung und Erfüllung abhängt; man merkt die Absicht solcher Koryphäen der Zeitgeistleitwissenschaft, und ist verstimmt...

 

Doch dann tut man einfach so, als ob deren Illusion über ihr eigenes Leben eine Tatsache wäre: Dass der freie Wille ebenso eine Illusion ist, legen Experimente des US-Forschers Benjamin Libet nahe: Danach stellt sich das "Gefühl", etwa eine Bewegung "absichtlich" zu machen, erst an die 350 Millisekunden nach der Bewegung ein. Dem "bewussten Geist" scheint dann nur noch ein letztes Vetorecht zuzustehen, das man dann mit der Pre-Trans-Trap von System#2 manipulieren kann:

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Francis Crick wollte programmatisch die Erforschung des Bewusstseins auf die Untersuchung der Aufmerksamkeit (etwa im Fall von optischen Mustern) reduzieren - eine Vereinfachung, vor der Searle warnt: "Es gibt viele Dinge, deren ich mir bewusst bin, ohne ihnen meine Aufmerksamkeit zu schenken".

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Damasio dagegen schlägt vor, sich zunächst damit zu befassen, wie wir den "Film im Hirn", also die Komposition aus verschiedensten Sinneseindrücken, erzeugen, welche "die MultimediaShow ausmacht, die wir Mind nennen". Das Besondere am Hirn sei eben, dass seine Strukturen die Strukturen und den Zustand des gesamten Organismus und seiner Umwelt abbildet, "repräsentiert", womit man eben reelle Menschen ins vorgedachte Menschenbild#2 manipulieren kann, und es auch mit allen Mittel (70 Jahre Kommunismus und 12 Jahre 1000-jähriges Reich sollten genug sein) bereits, wenn auch letztlich immer blutig und vergeblich, versucht hat ....

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Im nächsten Schritt könne man sich dem "Selbst" zuwenden und dem Problem, wie wir "automatisch einen Sinn dafür entwickeln, dass dieser Film im Kopf uns gehört". Damasios These: "Es gibt keinen separaten Zuseher für den Film im Hirn. Die Idee eines Zusehers wird im Film selbst c3-konstruiert und kein geisterhafter Homunculus spukt durch das Kino."

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Zur Frage, wie und warum sich dieses Selbst-Bewusstsein im Lauf der Evolution zum Menschen entwickelt habe, bot der Psychologe Nicholas Humphrey einen faszinierenden, quasi fundamental anti-solipsistischen Ansatz: Die Entwicklung des Ich-Bewusstseins sei eine Strategie zur Überprüfung von Hypothesen darüber, was im Geist anderer Personen vor sich geht. Mitgefühl im weitesten Sinn also nicht nur - wie bei Schopenhauer - als Grundlage der Ethik, sondern auch der Erkenntnis seiner selbst!

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In etwa 50 Jahren, prophezeit Damasio, werde die Neurologie soweit sein, "dass die traditionellen dualistischen Trennungen Körper/Gehim, Körper/Geist und Gehirn/Geist völlig verschwunden sind". Würde uns durch ein solches Verständnis nicht auch viel verloren gehen? Damasio beruhigt: "Der Geist wird seine Erklärung überleben, so wie eine Rose noch immer süss riecht, auch wenn wir die molekulare Struktur ihrer Duftstoffe kennen."

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Unheimlicher klingt das Resümee von Rita Carter: "Zukünftige Generationen werden als gegeben hinnehmen, dass wir programmierbare Maschinen sind, genauso wie wir uns an die Tatsache gewöhnt haben, dass die Erde eine Kugel ist."

 

Quelle: Presse Spectrum 18.12.1999

 

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